Stadt Kassel
Stefan Marx, Stadt Kassel, UK14 und Dock4
2024
Kassel, Deutschland
Zunächst haben wir uns mit der Geschichte der Unteren Karlsstraße und ihrer Umgebung beschäftigt und damit, wie der Platz aktuell funktioniert und genutzt wird. Wir haben uns angesehen, wer dort schon aktiv ist und mit welchen Funktionen der Platz und die an- und einschließenden Räume aktuell besetzt sind. Um das herauszufinden, haben wir nicht nur Archivmaterial und Planunterlagen gewälzt, sondern auch zu unterschiedlichen Tageszeiten und über mehrere Wochen immer wieder Zeit auf dem Platz verbracht und aus unterschiedlichen Perspektiven räumliche Beobachtungen angestellt, um ein grundliegendes Verständnis für die besondere Dynamik des Ortes zu bekommen. Für ein tieferliegendes Verständnis und einen Einblick in und Austausch über die möglichen Potenziale des Platzes haben wir dann noch mit verschiedenen Personen, die entweder am Platz an der Unteren Karlsstraße leben oder dort arbeiten, qualitative Interviews geführt. Unsere zusammengefassten Erkentnisse, Überblicke und Einblicke sowie ein enger Austausch mit der Verwaltung wurden zu Ausgangspunkt und Basis für unseren weiteren Prozess.
Kern unserer Überlegungen und Planungen in Bezug auf die Zukunft der Unteren Karlsstraße waren Einbezug und Beteiligung verschiedener Nutzer:innen in verschiedenen Formaten. Dazu gab es mehrere Diskussionsrunden und ein großes künstlerisches Architekturmodell, an dem immer wieder verschiedene Möglichkeiten und Ideen mit ausreichend Knete ausprobiert und getestet werden konnten. Unsere Zwischenpräsentation war dann direkt der 1:1-Praxistest unseres Entwurfs, den wir als immersive Skizze über den Platz gelegt und beim Tag der Städtebauförderung mit mehr als hundert Menschen direkt vor Ort überprüft, ausdiskutiert und nochmal geschärft haben. Auch hier war wieder die Basis unseres fortlaufenden Prozesses ein reger und andauernder Meinungsaustausch mit bereits bestehenden Nutzer:innengruppen am Platz, die unseren Entwurfsprozess mit ihren räumlichen und sozialräumlichen Perspektiven und jahrelanger Ortskenntnis enorm unterstützt haben. Damit meinen wir neben der lokalen Skateszene, den Kulturakteur:innen und Anwohnenden auch wieder die zuständigen Personen in der Verwaltung, die uns ämterübergreifend über den gesamten Prozessvelauf begleitet haben. Dieser Prozess hat sich insgesamt über mehrere Monate von Oktober 2023 bis Mai 2024 erstreckt.
Auf Basis der Analyse und des Beteiligungsprozesses haben wir einen Plan entwickelt, in dessen Mittelpunkt die Idee eines „Shared Space“ steht. Dieser Ansatz zielt darauf ab, einen Raum zu schaffen, der von verschiedenen Nutzer:innengruppen gemeinsam genutzt werden kann, ohne klare Funktionstrennungen und vor allem ohne Priorisierung einzelner Interessen. In einem solchen Szenario wird dann auch der Autoverkehr, der aktuell und nicht nur an diesem Platz einen hohen Stellenwert in der Planung und Nutzung hat, zur „lediglich gleichberechtigten“ Nutzung „degradiert“ und kann entsprechend nicht mehr – wie aktuell an der Unteren Karlsstraße – 90 Prozent der Gesamtfläche vereinnahmen. Dieser Raum wird beim „Shared Space“ gerecht geteilt mit anderen Funktionen. Bei unserem Entwurf besonders in den Blick genommen haben wir: Die Skateszene und die Jugendlichen, denen wir Infrastruktur wie Toiletten und einen informellen Kulturraum bieten, die Anwohnenden die in unserem Entwurf neue Aufenthaltsqualitäten und Begegnungsräume finden und die ansässigen Kulturinstitutionen, die neuen Möglichkeiten bekommen in den öffentlichen Raum zu wirken, indem der Platz vielseitig nutzbar gemacht wird. Ein umfangreiches Bepflanzungskonzept sorgt für mehr Schatten und langfristig für eine höhere Luftqualität und Verbesserung des innerstädtischen Klimas und eine funktionsoffene und -erweiterbare Programmierung der Flächen könnte dafür sorgen, dass eine generationenübergreifende Aneignung und Belebung des Platzes möglich ist und bleibt. Um dabei gegen die Entstehung potenzieller neuer Konfliktherde vorzubeugen, haben wir darauf geachtet, lärmintensivere Nutzungen in weiterer Entfernung zur Wohnbebauung zu planen und außerdem insgesamt Materialen einzusetzen, die geeignet sind Lärm zu schlucken. Um möglichst ressourcenschonend und -bewusst vorzugehen, haben wir außerdem versucht, so viele recycelte Materialien und vorhandene Ressourcen einzuplanen wie möglich: So werden mobile und multifunktionale Elemente aus altem Kunststoffmüll hergestellt und anstatt alle vorhandenen Strukturen abzureißen und komplett neu zu bauen - wie es üblicherweise gemacht wird - integrieren wir große Teile der bestehenden Oberflächen, die teilweise noch völlig in Ordnung sind, vollständig in unser Konzept.
Wir schlagen für den Entwurf eine sukzessive Umsetzung der einzelnen Bauphasen vor, zwischen denen ausreichend Zeit bleibt, um die fortschreitende Entwicklung explorativ testen und ggf. einzelne Aspekte anpassen zu können. In Anlehnung an das Prinzip der „Slow Architecture“ würde so auf eine Bauphase immer eine Aneignung- und Aktivierungsphase der neuentstandenen Flächen und Objekte folgen, sodass parallel zum physischen Umbau auch eine sozialräumliche Transformation möglich wird. Ein solch iteratives Vorgehen könnte dabei helfen, nicht nur in der Planung, sondern auch noch während der Umsetzung anpassungsfähig zu bleiben und auf sich ggf. ändernde Bedürfnisse reagieren zu können. Diesen Ansatz halten wir nicht nur für zeitgemäß, sondern auch im Sinne einer nachhaltigen Aktivierung der Fläche für besonders wirkungsvoll. So wird nicht nur die Aufrechterhaltung der, im vorangegangenen Beteiligungsprozess entstandenen, Dynamik mit und zwischen den einzelnen Akteur:innen befördert, sondern auch eine Nachvollziehbarkeit und Transparenz in einem – für gewöhnlich sehr lange dauernden - Stadtentwicklungsprozess geschaffen.
Stadt Kassel
Stefan Marx, Stadt Kassel, UK14 und Dock4
2024
Kassel, Deutschland
Zunächst haben wir uns mit der Geschichte der Unteren Karlsstraße und ihrer Umgebung beschäftigt und damit, wie der Platz aktuell funktioniert und genutzt wird. Wir haben uns angesehen, wer dort schon aktiv ist und mit welchen Funktionen der Platz und die an- und einschließenden Räume aktuell besetzt sind. Um das herauszufinden, haben wir nicht nur Archivmaterial und Planunterlagen gewälzt, sondern auch zu unterschiedlichen Tageszeiten und über mehrere Wochen immer wieder Zeit auf dem Platz verbracht und aus unterschiedlichen Perspektiven räumliche Beobachtungen angestellt, um ein grundliegendes Verständnis für die besondere Dynamik des Ortes zu bekommen. Für ein tieferliegendes Verständnis und einen Einblick in und Austausch über die möglichen Potenziale des Platzes haben wir dann noch mit verschiedenen Personen, die entweder am Platz an der Unteren Karlsstraße leben oder dort arbeiten, qualitative Interviews geführt. Unsere zusammengefassten Erkentnisse, Überblicke und Einblicke sowie ein enger Austausch mit der Verwaltung wurden zu Ausgangspunkt und Basis für unseren weiteren Prozess.
Kern unserer Überlegungen und Planungen in Bezug auf die Zukunft der Unteren Karlsstraße waren Einbezug und Beteiligung verschiedener Nutzer:innen in verschiedenen Formaten. Dazu gab es mehrere Diskussionsrunden und ein großes künstlerisches Architekturmodell, an dem immer wieder verschiedene Möglichkeiten und Ideen mit ausreichend Knete ausprobiert und getestet werden konnten. Unsere Zwischenpräsentation war dann direkt der 1:1-Praxistest unseres Entwurfs, den wir als immersive Skizze über den Platz gelegt und beim Tag der Städtebauförderung mit mehr als hundert Menschen direkt vor Ort überprüft, ausdiskutiert und nochmal geschärft haben. Auch hier war wieder die Basis unseres fortlaufenden Prozesses ein reger und andauernder Meinungsaustausch mit bereits bestehenden Nutzer:innengruppen am Platz, die unseren Entwurfsprozess mit ihren räumlichen und sozialräumlichen Perspektiven und jahrelanger Ortskenntnis enorm unterstützt haben. Damit meinen wir neben der lokalen Skateszene, den Kulturakteur:innen und Anwohnenden auch wieder die zuständigen Personen in der Verwaltung, die uns ämterübergreifend über den gesamten Prozessvelauf begleitet haben. Dieser Prozess hat sich insgesamt über mehrere Monate von Oktober 2023 bis Mai 2024 erstreckt.
Auf Basis der Analyse und des Beteiligungsprozesses haben wir einen Plan entwickelt, in dessen Mittelpunkt die Idee eines „Shared Space“ steht. Dieser Ansatz zielt darauf ab, einen Raum zu schaffen, der von verschiedenen Nutzer:innengruppen gemeinsam genutzt werden kann, ohne klare Funktionstrennungen und vor allem ohne Priorisierung einzelner Interessen. In einem solchen Szenario wird dann auch der Autoverkehr, der aktuell und nicht nur an diesem Platz einen hohen Stellenwert in der Planung und Nutzung hat, zur „lediglich gleichberechtigten“ Nutzung „degradiert“ und kann entsprechend nicht mehr – wie aktuell an der Unteren Karlsstraße – 90 Prozent der Gesamtfläche vereinnahmen. Dieser Raum wird beim „Shared Space“ gerecht geteilt mit anderen Funktionen. Bei unserem Entwurf besonders in den Blick genommen haben wir: Die Skateszene und die Jugendlichen, denen wir Infrastruktur wie Toiletten und einen informellen Kulturraum bieten, die Anwohnenden die in unserem Entwurf neue Aufenthaltsqualitäten und Begegnungsräume finden und die ansässigen Kulturinstitutionen, die neuen Möglichkeiten bekommen in den öffentlichen Raum zu wirken, indem der Platz vielseitig nutzbar gemacht wird. Ein umfangreiches Bepflanzungskonzept sorgt für mehr Schatten und langfristig für eine höhere Luftqualität und Verbesserung des innerstädtischen Klimas und eine funktionsoffene und -erweiterbare Programmierung der Flächen könnte dafür sorgen, dass eine generationenübergreifende Aneignung und Belebung des Platzes möglich ist und bleibt. Um dabei gegen die Entstehung potenzieller neuer Konfliktherde vorzubeugen, haben wir darauf geachtet, lärmintensivere Nutzungen in weiterer Entfernung zur Wohnbebauung zu planen und außerdem insgesamt Materialen einzusetzen, die geeignet sind Lärm zu schlucken. Um möglichst ressourcenschonend und -bewusst vorzugehen, haben wir außerdem versucht, so viele recycelte Materialien und vorhandene Ressourcen einzuplanen wie möglich: So werden mobile und multifunktionale Elemente aus altem Kunststoffmüll hergestellt und anstatt alle vorhandenen Strukturen abzureißen und komplett neu zu bauen - wie es üblicherweise gemacht wird - integrieren wir große Teile der bestehenden Oberflächen, die teilweise noch völlig in Ordnung sind, vollständig in unser Konzept.
Wir schlagen für den Entwurf eine sukzessive Umsetzung der einzelnen Bauphasen vor, zwischen denen ausreichend Zeit bleibt, um die fortschreitende Entwicklung explorativ testen und ggf. einzelne Aspekte anpassen zu können. In Anlehnung an das Prinzip der „Slow Architecture“ würde so auf eine Bauphase immer eine Aneignung- und Aktivierungsphase der neuentstandenen Flächen und Objekte folgen, sodass parallel zum physischen Umbau auch eine sozialräumliche Transformation möglich wird. Ein solch iteratives Vorgehen könnte dabei helfen, nicht nur in der Planung, sondern auch noch während der Umsetzung anpassungsfähig zu bleiben und auf sich ggf. ändernde Bedürfnisse reagieren zu können. Diesen Ansatz halten wir nicht nur für zeitgemäß, sondern auch im Sinne einer nachhaltigen Aktivierung der Fläche für besonders wirkungsvoll. So wird nicht nur die Aufrechterhaltung der, im vorangegangenen Beteiligungsprozess entstandenen, Dynamik mit und zwischen den einzelnen Akteur:innen befördert, sondern auch eine Nachvollziehbarkeit und Transparenz in einem – für gewöhnlich sehr lange dauernden - Stadtentwicklungsprozess geschaffen.